Freitag, 11. November 2022
Nach der Therapie fiel ihr zuhause die Decke auf den Kopf. „Ich wollte unbedingt arbeiten gehen und nicht abhängig von staatlichen Leistungen sein“, sagt sie. Gern nahm sie das Angebot ihrer Arbeitsvermittlerin wahr, beim Werkhof eine Maßnahme zu absolvieren. Es sollte herausgefunden werden, wie belastbar sie ist und was ihr liegt. Die Arbeitsbereiche dort eigenen sich optimal für einen solchen Test. „Ich habe mich beim Werkhof sofort wohlgefühlt“, erinnert sie sich. „Endlich war ich wieder unter Menschen.“
Sie durchlief verschiedene Abteilungen wie die Näherei und die Schreinerei. „Der Verkauf im Gebrauchtwarenkaufhaus hat mir besonders gut gefallen.“ Vor allem der Austausch mit anderen Menschen habe ihr gutgetan und Angie Weber wurde schnell zu einer gefragten Ansprechpartnerin der Kunden wie auch der Mitarbeiter. Das blieb auch bei ihren Vorgesetzten nicht unbemerkt und man bot der gelernten Hauswirtschafterin an, eine Umschulung zur Einzelhandelskauffrau zu machen. „Ich habe mich riesig gefreut“, erinnert sich Weber. „Aber leicht war es nicht.“
Plötzlich musste die damals 46-Jährige wieder die Schulbank drücken. „Ich saß mit lauter jungen Leuten im Klassenzimmer“, sagt sie. „Aber ich habe mich mit allen gut verstanden.“ Kurz vor der letzten Prüfung starb ihre Mutter. Ein Einschnitt, der sie kurzzeitig ins Wanken brachte. „Ich habe meiner Mama am Grab versprochen, dass ich es schaffe“, sagt sie und es klappte. Sie schloss die Prüfung erfolgreich ab und wurde vom Werkhof übernommen. Inzwischen ist sie stellvertretende Verkaufsleiterin und kümmert sich um alle Aufgaben, die anfallen. Aktuell wirkt sie an der Umgestaltung des Gebrauchtwarenkaufhauses mit und bringt ihre Ideen ein.
Am liebsten berät sie die Laufkunden, die in den Auweg kommen. „Mir macht es Spaß zu sehen, ob ich ihre Wünsche erfüllen kann“, sagt sie. „Ich will den Kunden nichts aufdrängen, aber immer genau wissen, was sie sich vorstellen.“ Wichtig ist ihr, dass sie für alle ein offenes Ohr hat. Das gilt auch für ihre Kollegen. Im Werkhof sind viele Menschen beschäftigt, die es krankheitsbedingt nicht einfach hatten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und die eine Schwerbehinderung haben. „Da ich selbst einiges mitgemacht habe, kann ich vieles nachempfinden“, sagt sie. Sie selbst hat einen Grad der Behinderung von 40. „Ich bin ein offener Mensch und erzähle anderen davon, was ich erlebt habe.“ So entstehe Vertrauen.
Der Artikel ist erschienen in der November Ausgabe des Sozialmagazin Donaustrudl.
Text und Fotos: Martina Groh-Schad